Integration auf der Kippe! – Diakonie und Caritas warnen vor Kürzungen im Bundeshaushalt insbesondere bei Integrationsdiensten

Trier – Die Emotionen waren deutlich zu spüren – im vollbesetzten Saal der VHS Trier am Dienstag, 29. August 2023. Der Caritasverband Trier e.V., vertreten durch Caritasdirektor Dr. Bernd Kettern sowie Bernhard Jocher, Leiter der Abteilung Beratung, Hilfe und Migration, sowie das Diakonische Werk der Evangelischen Kirchenkreise Trier, Simmern-Trarbach und An Nahe und Glan, vertreten durch Geschäftsführer Carsten Stumpenhorst, hatten zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Bildung und Gesellschaft in Trier und der Region zu einer Infoveranstaltung geladen. Unter dem Titel „Integration auf der Kippe? – Auswirkungen der Kürzungen im Bundehaushalt auf die Integrationsangebote und Migrationsdienste in der Region“ waren rund 80 Teilnehmer*Innen der Einladung gefolgt, darunter auch die Trierer Bürgermeisterin Elvira Garbes. Am Ende des Abend war klar: Die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt hätten teils dramatische Auswirkungen auf die von Caritas und Diakonie durchgeführten Beratungsangebote, Dienste und Projekte.

Caritasdirektor Dr. Bernd Kettern begrüßte zunächst die Gäste und führte in das Thema des Abends ein – Kettern betonte, wie wichtig es sei, ein klares Signal hinsichtlich der befürchteten Auswirkungen der Kürzungen zu setzen: „Das ist ein Thema, das vielfach Spuren hinterlassen wird“. Sofern die geplanten Kürzungen beschlossen würden, würden rund 100 Mio. Euro bundesweit für Integrationsangebote und Migrationsdienste fehlen. Er persönlich glaube nicht, dass es gelingen würde, die Finanzierung ohne Bundesmittel zu retten – und es sei deutlich zu fragen, ob das auf der Höhe der Zeit sei, so der Direktor des Caritasverbandes Trier e.V.. Beispielhaft nannte Kettern die Bildungsberatung Garantiefonds – Hochschule, die jungen Menschen bis 30 Jahren bei der Fortsetzung akademischer Ausbildungen hilft, deren Ausbildung durch Flucht oder Auswanderung unterbrochen wurde und ohne Abschluss zu bleiben droht. Die Trierer Beratungsstelle berät und unterstützt für den Raum des gesamten Saarlandes und den nördliche Teil von Rheinland-Pfalz. Den Haushaltsplanungen gemäß werde die Unterstützung für dieses Angebot um 100 Prozent gekürzt – das sei ein großer Fehler, so Kettern.

Kürzungen kappen Erfolgsgeschichten
Nicht nur deswegen gelte es „zu trommeln und zu wirbeln“: „Die Politik muss merken, da hängt sehr viel dran. Und das, was im Rahmen der geplanten Kürzungen abgebaut werden könnte, lässt sich auch nicht ohne weiteres wieder aufbauen“, ordnete der Caritasdirektor die geplanten Kürzungen deutlich ein. Abschließend fasste es Kettern noch einmal zusammen: „Die Sparpläne sind schlicht unvernünftig, weil sie einen großen, gesellschaftlichen Schaden verursachen. Die geplanten Kürzungen liegen in keinem Verhältnis, nicht zum Gesamthaushalt, und nicht zu den zu befürchtenden Auswirkungen. Darin liegt ein großes gesellschaftliches Sprengpotential – die Begleitung wie auch die vorhandene Erfahrung wird abgekappt – und damit kappen wir Erfolgsgeschichten!“

Moderiert von Stefan Weinert machten dann Diakoniegeschäftsführer Carsten Stumpenhorst sowie Abteilungsleiter Bernhard Jocher in kurzen, aber eindrücklichen Statements deutlich, welche weiteren Dienste und Angebote von den geplanten Kürzungen betroffen wären – und welche Auswirkungen zu befürchten seien.

Betroffen seien so auch die Psychosozialen Zentren, die mittels Therapie und Angeboten wie beispielsweise Krisenintervention traumatisierte Geflüchtete unterstützten. Durch die Bundesmittel konnte die wichtige Arbeit an dieser Stelle aufgebaut werden – durch die geplante Kürzung um rund 60 Prozent sei ein solches durch Sprachvermittlung gestütztes Beratungs- und Therapieangebot existentiell bedroht.  „So werden keine sicheren Strukturen geschaffen. Das führt zu Verunsicherung sowohl bei den Klient*innen als auch bei den Berater*innen. Erstere wissen nicht, wo sie künftig Unterstützung finden werden, an letztere wird das Signal gesendet, Eure Arbeit ist nicht wertvoll. Wir brauchen aber eine solide Struktur, die langfristig hält. Für die Menschen, die Beratung und Unterstützung benötigen, wie auch für die Mitarbeitenden“, brachte es Carsten Stumpenhorst auf den Punkt.

Projekt Respekt Coaches an Schulen steht auf der Kippe
Ein weiteres wichtiges Angebot von Diakonie und Caritas, welches durch die geplanten Kürzungen auf der Kippe steht, sind die „Respekt Coaches“, ein Programm, welches seit 2018 an zahlreichen Schulen der Region angeboten werden konnte. Dieses Programm zur Primärintervention gegen jede Form von Extremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit vermittelt die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. Allein im Jahr 2022 erreichten die Respekt Coaches über 3000 Schülerinnen und Schüler mit Projekten wie dem Demokratietag, Veranstaltungen zur selbstständigen Lebensgestaltung für junge Frauen oder auch Workshops zur Stärkung der Sozialkompetenz. „Demokratiebildung ist ein Thema, das sehr hoch stehen sollte“, machte es Bernhard Jocher noch einmal deutlich. Die Schulen wüssten die Unterstützung durch dieses Angebot sehr zu schätzen. Jocher unterstrich zudem auch noch einmal die Auswirkung der möglichen Streichung der Bildungsberatung an den Hochschulen: „Man reist eine Lücke, die nicht zu füllen ist.“ Dies sei nicht nachvollziehbar. „Es ist erschütternd und wirkt auch auf die Mitarbeitenden frustrierend.“

All dies habe zudem massive Auswirkungen auf die Gesellschaft als solche – es gehe dabei auch um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Jetzt insbesondere in Blick auf die Integration von Geflüchteten zu sparen, sei genau der falsche Schritt, betonte auch Carsten Stumpenhorst. „Da, wo Integration gelingt, ist Zuwanderung ein großer Mehrwert für die Gesellschaft, sowohl in kultureller als auch finanzieller Hinsicht. Geflüchtete finden Arbeit, leisten somit auch ihren Beitrag zu unserem Arbeitskräftemangel und zahlen in Sozialkassen ein. Ohne eine Integration schaffen wir im schlimmsten Fall eine Parallelgesellschaft von Menschen, die sich nicht zugehörig fühlen“, so Stumpenhorst. Und: „Wir gehen damit in eine gesellschaftliche Spaltung. Demokratisierung steht damit auf des Messers Schneide.“ Der richtige Schritt wäre vielmehr, so der Diakoniegeschäftsführer, auf Integration zu setzen und Angebote zu stärken.

Auch MBE und JMD von Kürzungen bedroht
Ein weiterer Schlüsseldienst, der durch die Kürzungen im Bundeshauhalt betroffen wäre, ist die Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) in der Region, die durch mehrsprachige Beratung in Fragen wie beispielsweise Deutsch lernen, Schule und Beruf, Wohnen, Gesundheit, Ehe, Familie und Erziehung sowie Soziale Sicherung unterstützt. Durch eine Kürzung der Mittel um bundesweit 30 % ist die MBE von einem starken Abbau bedroht – und das in einer Zeit, in der unter anderem durch den Zuzug der Menschen aus der Ukraine die Nachfrage sehr hoch ist. Ebenso von Kürzungen betroffen ist der Jugendmigrationsdienst (JMD), der seit Jahrzenten erfahrene Dienste in der Begleitung junger Migrantinnen und Migranten ermöglicht. Spracherwerb, Schulbesuch, Ausbildung, Zukunftsplanung und Bewältigung der Integrationsaufgaben sind ihre Angebote. In Trier, Trier-Saarburg, Bernkastel-Wittlich und im Rhein-Hunsrück-Kreis konnten 2022 über 750 Jugendliche beraten und gefördert werden.

Zu Wort kamen auch einige junge Geflüchtete, die durch die Angebote und Dienste unterstützt wurden. Eindrücklich schilderten sie, welche Hilfe sie durch die Bildungsberatung und die Angebote des Jugendmigratonsdienstes erhalten hätten. So beispielsweise Ibrahim Issa aus Syrien. Issa studiert aktuell BWL an der Hochschule Trier – wegen des Krieges in Syrien musste er sein Abitur abbrechen und konnte es dann in Trier nachholen. Auch dank der Unterstützung und Beratung des JMD. „Man ist erst einmal orientierungslos und braucht Orientierung“, so Issa. Ohne die Beratung hätte es auf jeden Fall länger gedauert – für ihn ist ein möglicher Wegfall dieser Unterstützung nicht nachvollziehbar: „Das hat einen schlechten Einfluss auf die Teilhabe von jungen Menschen“, betonte Issa. Und auch Nourhan Altahan aus Syrien, die hier ihr Abitur machen konnte und im Oktober ihr Studium beginnen wird, machte deutlich, wie wichtig die Arbeit des JMD sei: „Ich habe es durch die Hilfe von anderen geschafft, etwas Positives aufzubauen.“

Wirtschaftlich kann man vieles begründen – aber es geht um die Menschen!
Durch die Geschichten der jungen Menschen werde deutlich, wie wichtig es sei, dass die Beratung möglich war, fasste es Bernhard Jocher noch einmal zusammen. Und betonte: „Massive Kürzungen stehen an – Kürzungen, die eine Unterstützung betreffen, die deutlich spürbar ist. Und es geht um ein Bild von Integration, dass so nicht immer wahrgenommen wird. Was wäre alles weg, wenn die Zugewanderten nicht da wären – das sähe wirklich trübe aus. Wirtschaftlich kann man vieles begründen, aber es geht um die Menschen!“, so Jocher.

Kürzungen hätten gesamtgesellschaftliche Auswirkungen
Insgesamt wurde mehr als deutlich: Die genannten Kürzungen hätten nicht nur direkte Auswirkungen für die hilfesuchenden Menschen. Ausdünnungen in Diensten und Einrichtung, die die Integration von Migrant*innen fördern, hätten auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Vor dem Hintergrund, dass immer wieder öffentlich eine bessere Integration gefordert wird, sind die scheinbar willkürlichen Kürzungen der Bundesmittel nicht nachvollziehbar. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus, dass durch die Kürzungen Arbeitskräfte entlassen werden müssen, mit deren Weggang langjähriges Fachwissen verloren geht. Zudem führen sie zu großer Verunsicherung bei den Trägern von mit der Integration befassten Diensten und Einrichtungen wie Diakonie und Caritas, die zum Teil in den letzten Jahren erhebliche Eigenmittel eingesetzt haben, um die Angebote möglichst zielführend zu gestalten.

Zum Abschluss dankte Carsten Stumpenhorst allen Gästen – und ihrem an diesem Abend deutlich gewordenen solidarischen Zuspruch, sich für eine Korrektur der geplanten Kürzungen im Sinne einer gelingenden Integrationsarbeit einzusetzen. Es sei wichtig, gemeinschaftlich darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung den Mehrwert von Integration nicht nur in ihrem Koalitionsvertrag betont, sondern diesen Bereich auch praktisch und damit finanziell über den Haushalt unterstützt – „Prüfet alles, aber das Gute behaltet!“, so Stumpenhorst.

 

  • 1.9.2023
  • Öffentlichkeitsarbeit des Diakonischen Werkes der Ev. Kirchenkreise Trier, Simmern-Trarbach und An Nahe und Glan
  • Red